Trauermotiv DIE LINKE

Zum Tode von Jochen Kretschmer

Jochen Kretzschmer ist verstorben und wir als LINKEN wollen unseren Genossen an dieser Stelle würdigen und ihn und sein Wirken all jenen vorstellen, die ihn bisher vielleicht noch nicht kannten. Drei Nachrufe von drei Dresdner Genossen könnt ihr hier lesen.

Danke für Alles Zum Tod von Jochen Kretschmer von Dieter Gaitzsch

Das ND vom Samstag, dem 09. Oktober liegt vor mir. Ich lese die Todesanzeige von Jochen Kretschmer. Das vertraute Bild mit dem weißen Rauschebart bestätigt die traurige Wahrheit, Jochen ist ab 21. September 2021 nicht mehr unter uns. Jochen spielte in meinem Leben eine wichtige Rolle.

Es war 1960, im Pionierpalast, haben Kinder kleine Theaterstücke vorgespielt, eines der Kinder war ich. Jochen war als junger Schauspieler vom Theater der Jungen Generation dabei. Er suchte Kinder für ein Pioniertheater. Irgendwie wollte er mich dabeihaben, er meinte damals, man sieht, was ich denke, wenn ich auf der Bühne stehe. So kam ich zum Pioniertheater. Wir probten das Stück „Pionier bleiben an Bord“ in einem Zeltlager und lange darüber hinaus. Jochen war der Schiffskoch und ich war einer der Pioniere. Zwei Episoden aus den Vorstellungen kommen mir ins Gedächtnis:

Jochen als Schiffskoch von den Kindern „Ben Ali“ genannt, will uns, die wir um ihn herumtanzen, mit einem Besen verscheuchen. Bei einer Vorstellung trifft der Besen in dieser Szene meine Unterlippe. Ich drehe mich auf der Bühne kurz um und fühle meine Lippe, die wurde dick und die Zähne wackelten. Die Vorstellung ging weiter und in der Pause kam Jochen zu mir, er war entsetzt, als er meine Lippe sah. Er drückte mich an seinen damals noch nicht so gewaltigen Körper und tröstete mich. Dabei war er wohl mehr betroffen als ich, denn eigentlich tat es nicht weh und ich bekam eine extra Portion Pudding. Der Pudding gehörte zu dem Stück, aber in der Pause war er meistens schon alle, weil ich als einer der letzten von der Bühne kam.

In der letzten Vorstellung hatten wir gemäß einer alten Theatertradition ein wenig improvisiert. In der letzten Szene vor der Pause gab Jochen „Ben Ali“ drei Kindern vom Pudding zu kosten. In der letzten Vorstellung wollte das erste Kind auf einmal keinen Pudding. Jochen schaute erstaunt zu dem zweiten Kind, aber auch das wollte keinen Pudding. Dann war ich dran, Jochen schaute mich an und seine Augen sagten „Komm, nimm Du wenigstens was“ und ich sagte: „Gut, dann nehme ich drei Portionen“. Das Publikum lachte und Jochen Ben Ali war zufrieden.

Lange Zeit später, nach meinem Armeedienst, traf ich mich mit Jochen. Ich suchte eine neue Orientierung und dachte daran, Schauspieler zu werden. Jochen erzählte mir vom Leben eines Theaterschauspielers, von den Mühen der Proben, der ständigen Anspannung auf der Bühne und dem nicht gerade üppigen Verdienst. Das Ergebnis dieses Gesprächs:Es gibt einen talentlosen Schauspieler weniger in Dresden.

Engagierter Antifaschist

Lange Zeit später, Ende 2010, suchten wir im Bündnis Dresden Nazifrei Schauspieler, welche die Texte für den Mahngang „Täterspuren“ lesen würden. Jochen war sofort dabei und hat, solange es die Gesundheit zuließ, Texte gelesen und auch die unvergessenen Moorsoldaten gesungen. Es war für ihn selbstverständlich, dass er dabei war.

Es gab danach noch viele Begegnungen mit Jochen, dem engagierten und temperamentvollen Diskutanten im Parteiumfeld. Sein Blick als Künstler auf die Politik war für mich in vielen Fällen eine Anregung, auch scheinbar bekannte Dinge noch mal neu zu denken.

In diesem Jahr waren Margot und ich anlässlich Gunilds Geburtstag bei den Beiden zu Besuch. Das Künstlerpaar saß in der Stube. Die Sonne schien durch das Fenster und das weiche Herbstlicht fiel auf sie. Dieses Bild habe ich vor Augen, wenn ich jetzt an Jochen denke. Es ist ein schönes Bild. Es bleibt zusammen mit vielen anderen Erinnerungen an Jochen, meinem väterlicher Freund, immer bei mir.

 

Zum Tod von Jochen Kretschmer von Uwe Schaarschmidt 

Eine beeindruckende Gestalt, eine nicht weniger beeindruckende Stimme und eine Liste großer Rollen, denen er beides lieh. Es gäbe wahrlich viel zu sagen, zum Leben des Schauspielers, der 1938 Breslau geboren wurde, in Rostock seine Kindheit verlebte, in Leipzig studierte und schließlich mehr als 30 Jahre lang dem Ensemble des Dresdner Staatsschauspiels angehörte. Der Genosse war und sich immer wieder einmischte, wenn er meinte, es sei nötig. Nicht nach vorn drängelnd, sondern von Sorge getrieben um sein Land, um die Welt. Er tat dies mit seiner Kunst wohl tagtäglich und in seiner Partei als kluger Mentor, mit dem Schatz seiner Lebensjahre.

Der Dresdner Stadtverband der LINKEN trauert um Jochen Kretschmer, der am 21. September im Alter von 83 Jahren verstorben ist.

 

Einer der Großen: In memoriam Jochen Kretschmer von Bernd Rump

Jochen Kretschmer war einer der Großen, der berührbar war und der sein Publikum zu berühren wusste. Der Schauspieler ist mit 83 Jahren gestorben. 1967 bis 2003 gehörte er zum Dresdner Schauspiel.

Würde mich jemand fragen, ob es denn etwas Gemeinsames, die Verschiedenheit der Zeit gleichsam Überbrückendes in der Dresdner Theatergeschichte gäbe, fiele mir die Antwort nicht schwer. Denn so unterschiedlich Spielweisen, Intendanten, Regisseure, das Theater auch prägten, so unterschiedlich auch die Fragestellungen an das Theater auch gewesen sein mochten; was das Theater Dresdens nun fast schon seit fast einem Jahrhundert auszeichnete und auszeichnet, ist die Rolle der Schauspieler, respektive der Schauspielerinnen. Das Theater in Dresden heißt nicht nur Staatsschauspiel, sondern es ist dies auch; es war und ist Schauspiel, und dieses lebte und lebt durch die Schauspieler.

Es ist das Schauspiel großer Namen. Als ich in den Sechzigern nach Dresden kam, lernte ich einige von ihnen kennen. Damals waren sie noch jung: Thea Elster, Rudolf Donath, Rolf Hoppe, Helga Werner, Wolfgang Dehler, Friedrich Wilhelm Junge, später Heinz Drewniok, mein Freund, und auch Jochen Kretschmer. Es waren solche Namen, die eines sicher versprachen, gediegenes Theater, durchdachte Inszenierungen. Klassisches Repertoire. Werke großer Dichter standen auf dem Spielplan, Lessings „Nathan“, „Faust“, inklusive „Urfaust“. Sophokles‘ „Elektra“, Kleists „Käthchen von Heilbronn“, Shakespeares „Heinrich IV.“ wie auch der „Sturm“. Tschechows „Schwestern“, aber auch Gegenwartsliteratur. Ich erinnere mich an „Bezahlt wird nicht“ von Dario Fo und Drewnioks „Wenn Giorgio kommt“, nicht zuletzt auch an die den Aufstand vorweg nehmenden Ritter der Tafelrunde. Sternstunden des Theaters, eingeschlossen jene Stunde, als es heraustrat aus seiner Rolle, damals am 6. Oktober 89. Damals, als wir dann alle heraustraten…

Er gehörte zu den sehr Engagierten

Jochen Kretschmer ist am 21. September im Alter von 83 Jahren gestorben. Ich las es und war plötzlich betroffen. Wir hatten doch, wir kannten uns doch… Ja. Wir hatten einmal, vor vielen Jahren, zusammengearbeitet. Am Kulturpalast, als wir dort eine eigene, eine politische Bühne kreierten und Schatrows „Wetter für Morgen“ inszenierten. Und er war sich nicht „zu fein“ dafür, da mitzuspielen. Mitzuspielen in einem Stück über das Morgen. Ein Morgen, das nie kommen würde, von heute her betrachtet, was wir aber damals nicht wussten. Wir, die wir uns dafür engagierten, wie sich ja überhaupt Theater engagiert, der eine darin mehr, der andere weniger. Jochen gehörte zu den sehr Engagierten. Damals, wie auch später, in der Wendezeit, da ich ihm wieder begegnet bin. In einer anderen Rolle. Einer vielleicht von ihm auch auf dem Theater gewünschten, der des Azdak zum Beispiel, des gerechten Richters… Manche Rollen spielen wir im Theater und manche im Leben, und wir können sie uns nicht immer heraussuchen… Auch über die Herrschenden sind Richter gestellt.

Jochen Kretschmer war einer dieser Großen, der berührbar war und der sein Publikum zu berühren wusste. Es war natürlich nicht zufällig, dass ihm Brechts Texte, besonders die von Hanns Eisler vertonten Lieder nahe waren. Er sang sie, er sang sie in eigener Interpretation. Auch darin lag eine Botschaft, die, nicht zu vergessen… Ja, das war seine politische Überzeugung. Ich vernehme sie deutlich: Am Grunde der Moldau wandern die Steine… es liegen drei Kaiser begraben zu Prag… Ich erinnere mich.

Später sah ich ihn seltener. Nach dem Abschied vom Theater blieb er im Spiel. Filme wie der Krupp-Film und „Der Turm“ brauchten ihn. Auf Video-Mitschnitten finden sich Sequenzen. Er wurde nicht leiser, nicht vorsichtiger, er wurde expressiver. Er konnte mit dem Stock durch die Luft fahren, und alles erstarrte. Sein Haar wurde weiß, sein Bart wie der eines Klassikers. Letzter Satz: Ich halt das nicht länger aus.

Am 18. Oktober fand auf dem Stephanusfriedhof die Urnenbeisetzung statt.
Dieser Artikel ist erschienen in der DNN am 14.10.2021.