Worte allein füllen keine Kühlschränke Zum Ampelprojekt Bürgergeld Von Katja Kipping
Für Eilige
Gut ist:
-für die ersten 2 Jahre keine Vermögensprüfung und keine Prüfung, ob Wohnkosten auch angemessen sind.
-Bagatellgrenze von 50 Euro für Rückforderungen
Unklar sind:
-die Höhe des Schonvermögens ab dem 3. Jahr Leistungsbezug
-Aussagen zu Sanktionen. Moratorium klingt zunächst gut, doch der Teufel steckt im Detail. (Die konkrete Formulierung des Koalitionsvertrages kann als Verständigung auf Status quo gedeutet werden.)
-wie der verbesserte gesetzliche Rahmen für die Angemessenheitsgrenzen der Wohnkosten ausfallen soll. Am Ende droht hier eine Leistungskürzung
Schlecht und bezeichnend ist, wozu nichts gesagt wird:
Kein Wort zur Erhöhung der Regelbedarfe, damit bleibt Hartz IV weiter Armut per Gesetz!
Kein Wort zur Überwindung der Wohnkostenlücke!
Kein Wort zu einem PandemieZuschlag!
Das Bürgergeld hat es in den Ampel-Koalitionsvertrag geschafft und ist in aller Munde. Erste Spontanumfragen zeigen einen hohen Zuspruch zu diesem Projekt. Als PR-Maßnahme für die Ampel war das Vorhaben Bürgergeld schon mal sehr erfolgreich. Doch welche Veränderung ist wirklich davon zu erwarten? Im Ampel Koalitionsvertrag heißt es dazu: „Das Bürgergeld soll die Würde des einzelnen achten, zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigen sowie digital und unkompliziert sein.“
Das klingt zunächst erfreulich. Doch auch Hartz IV (also die Grundsicherung für Arbeitssuchende) soll die Würde des Menschen ermöglichen. Zumindest heißt es im Paragraphen 1 des SGB II:
„Die Grundsicherung für Arbeitssuchende soll es Leistungsberechtigten ermöglichen, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht.“
Also schauen wir lieber, welche Veränderungen konkret geplant sind.
Schonvermögen
„Wir gewähren in den ersten beiden Jahren des Bürgergeldbezugs die Leistung ohne Anrechnung des Vermögens und anerkennen die Angemessenheit der Wohnung.“
Dies ist eine reale Verbesserung. Bisher sah das SGB II lediglich Freibeträge von 150 Euro je vollendeten Lebensjahr plus einem Freibetrag für Anschaffung von 750 Euro vor. Ein 50-Jähriger, darf also bisher nur ein Schonvermögen von 8250 Euro haben sowie „nach Bundesrecht geförderte Altersvorsorge, soweit die Inhaberin das Altersvorsorgevermögen nicht vorzeitig verwenden kann.“ (§ 12 SGB II)
Für die ersten zwei Jahre gibt es nun keine Grenzen weder für die Wohnkosten, noch fürs Schonvermögen. Danach allerdings, und viele Hartz-IV-Betroffene sind länger als zwei Jahre im Leistungsbezug, beginnt die Anrechnung des Schonvermögens. Schonvermögen bezeichnet die Summe des Vermögens, bei dessen Besitz man trotzdem Anspruch auf Bürgergeld hat.
Nun heißt es weiter: „Wir werden das Schonvermögen erhöhen und dessen Überprüfung entbürokratisieren, digitalisieren und pragmatisch vereinfachen.“
Der konkrete Wert dieses Vorhabens für Betroffene hängt ganz davon ab, wie hoch die Erhöhung des Schonvermögens ausfällt.
Wohnkostenlücke
Wer Hartz IV wirklich überwinden will, muss das Problem der Wohnkostenlücke in Angriff nehmen. Wohnkostenlücke bezeichnet die Differenz zwischen den Mietkosten, die tatsächlich anfallen und den Wohnkosten, die vom Jobcenter als angemessen anerkannt werden. Diese Differenz müssen sich die Hartz-IV-Betroffenen oft vom Munde ab sparen oder aber ihnen droht der Zwangsumzug.
Um angesichts steigender Mieten dieses Problem abzumildern, müssten die Kommunen (die zuständig sind für die Kosten der Unterkunft) schlichtweg mehr Geld bekommen.
Die Ampel plant nun laut Koalitionsvertrag „einen verbesserten Rahmen für die Anwendung der kommunalen Angemessenheitsgrenzen“ der „regionalspezifische Pauschalen“ erleichtern soll. Nun sind „verbesserte gesetzliche Rahmen“ immer besser als verschlechtere. Aber worin die Verbesserung konkret besteht, darüber verrät der Vertrag bisher wenig. Und da die FDP durchgesetzt hat, dass es keine Steuern auf Millionenvermögen und keine höheren Steuern auf Millionenerbschaften bzw. Millionengewinne gibt, ist auch nicht davon auszugehen, dass die Kommunen hier mehr Geld zur Verfügung haben werden. Am Ende stellen sich die Pauschalen womöglich noch als eine Leistungskürzung heraus.
Sanktionen
Am 5. November 2019 urteilte das Bundesverfassungsgericht über die Hartz-IV-Sanktionen. Seitdem gilt eine Dienstanweisung des zuständigen Ministers Hubertus Heil, dass es nur noch Sanktionen bis zu 30% geben darf. Da bisher möglich war, 100% der Sozialleistung inklusive der Wohnkosten zu sanktionieren ist dies ein Fortschritt, aber eben noch keine Sanktionsfreiheit
Im Vertrag steht nun:
„An Mitwirkungspflichten, die in der Teilhabevereinbarung festgehalten werden, halten wir fest. Sie werden gesetzlich bis spätestens Ende 2022 geordnet.“ Bis dahin ist „ein einjähriges Moratorium für die bisherigen Sanktionen unter das Existenzminimum“ geplant.
Hier steckt der Teufel im Detail, genau genommen darin, was unter Existenzminimum verstanden wird. Dazu gehen im politischen Raum die Deutungen auseinander. Viele Sozialverbände und DIE LINKE sagen, das soziokulturelle Existenzminimum wird durch die Hartz IV Regelbedarfe unterschritten, es müsste bei über 600 Euro im Monat liegen. Andere meinen, der Regelbedarf sei das Existenzminimum. Wieder andere meinen, entscheidend sei das physische Existenzminimum und das liegt bei 70 Prozent der Regelbedarfe. Dieser Deutung zu Folge wären bei einem „Moratorium für die bisherigen Sanktionen unter das Existenzminimum“ weiterhin Sanktionen bis zu 30 Prozent möglich. Welche Deutung sich durchsetzt – dazu werde ich der Regierung auf den Zahn fühlen.
Bedarfsgemeinschaft
Zu den Tücken des Hartz-IV-Systems gehört die strikte Anrechnung des Partnerinneneinkommens. Demnach kann einem Erwerbslosen die Grundsicherung verweigert werden, wenn sein Partner oder seine Partnerin ein Einkommen hat. Und wir reden hier nicht von Millioneneinkommen. Je nachdem wie die Wohnkostengrenzen vor Ort sind, kann schon bei einem Einkommen von 2000 Euro der Erwerbslose mit null Euro Einkommen darauf verwiesen werden, seine Lebenskosten über das Partnerinneneinkommen zu bestreiten. Kurzum: Hartz IV bestraft Menschen dafür, dass ihre Partnerinnen einer Erwerbsarbeit nachgehen.
Die konsequente Überwindung dieser Schikane besteht in dem individuellen Anspruch.
Der Ampel-Vertrag sieht nun lediglich eine Umstellung von „der horizontalen auf die vertikale Einkommensanrechnung“ vor. Das ist eine gewisse Entlastung, sie verbleibt aber im System der strikten Anrechnung von Partnerinneneinkommen.
Höhe der Regelbedarfe
Die Grundsicherung soll das soziokulturelle Existenzminimum abdecken. Alle bisherigen Bundesregierungen haben es gezielt kleingerechnet. Wir als LINKE haben jedes Mal eine alternative Berechnung vorgelegt. Ohne die offensichtlichsten Rechentricks müsste der Regelbedarf in diesem Jahr bei 658 Euro plus Stromkosten liegen.
Im Bundestag sprachen sich die Grünen für Regelbedarfe um die 600 Euro aus. Dieser Anspruch schrumpfte bereits im Wahlkampf auf eine Erhöhung um 50 Euro. Und diese Erhöhung ist während der Verhandlungen offensichtlich auf null geschrumpft. Denn zu der so notwendigen Erhöhung der Regelbedarfe findet sich kein Wort im Koalitionsvertrag. Dabei sind aktuell rund sieben Millionen Menschen direkt von der dieser Höhe betroffen. Und ihre Not nimmt zu, denn die Kosten für Lebensmittel sind um über vier Prozent gestiegen, die Energiekosten explodieren geradezu.
Und hier offenbart sich die große Schwachstelle des Ampel-Bürgergeldes. Angesichts dieser Inflation werden Hartz-IV Betroffene unterm Strich weniger im Kühlschrank haben. Aber hey: Immerhin sind sie dann Bürgergeld-Berechtigte!
Von schönen Worten und leeren Kassen
Was sich ansonsten ändern soll: Die Beratung soll „auf Augenhöhe“ stattfinden. Und die Eingliederungsvereinbarung heißt nun „Teilhabevereinbarung“. Ob dies mehr als reine Lyrik ist, wird die Praxis zeigen. Die Schönheit von Worten in politischen Absichtserklärungen füllt keine Kühlschränke. Deshalb geht es im Kampf gegen Armut und für Teilhabe zuallererst um die konkreten Verbesserungen für die Betroffenen.
Und auch wenn an vielen Punkten noch offen ist, wie die Ampel das genau meint eins steht schon fest: DIE LINKE wird weiterhin Druck machen, für Regelbedarfe die sicher vor Armut schützen, für Sanktionsfreiheit, für eine sanktionsfreie Mindestsicherung von 1200 Euro.
Katja Kipping ist Bundestagsabgeordnete im Wahlkreis 159 Dresden 1 und auf ihrer Website gibt es noch mehr von ihr zu lesen.
Übrigens, unsere Idee vom BGE kann man hier nachlesen: https://www.die-linke-grundeinkommen.de/start/unser-bge/